Es gibt noch Deutsche in Schlesien

Opole/ Oppeln

“Warum kommt Ihr uns so selten besuchen”, werde ich von einem älteren Herrn nach der deutschsprachigen Messe in Oppeln gefragt. Dann fügt er hinzu: “Und wenn mal Leute aus Deutschland kommen, dann haben sie Angst mit uns zu reden”. Er meint wohl den typisch deutschen vorauseilenden Gehorsam: Wer ehemals Deutsche Orte im heutigen Polen mit ihrem deutschen Namen benennt, der muß die Reichsgrenzen von 1939 wiederhaben wollen und ist damit ein Rechtsradikaler (die Hauptstadt Polens darf man aber Warschau nennen, weil eh keiner weiß, wie sich Warszawa ausspricht). Also am besten gar nicht erst den Anschein erwecken, daß man damit irgendetwas zu tun haben wollte.

Zu meiner Schulzeit in den 1980er Jahren hatten die Landkarten noch eine gestrichelte Linie, dort wo die Ostgrenze Deutschlands vor dem Krieg war. Daneben stand dann in etwa “Unter polnischer bzw. sowjetischer Verwaltung”. Erst vor Kurzem wurde ich mir der Tatsache bewußt, daß ich ja nur 29 Jahre nach Kriegsende geboren wurde. Nach der Wiedervereinigung wurde die Oder-Neiße Linie als endültige deutsch-polnische Grenze festgelegt. Alles andere macht auch keinen Sinn, denn dort leben ja nun zum ganz großen Teil Polen.

Zweisprachiges Ortsschild in Oberschlesien

Dennoch hat es mich sehr überrascht bei einem kürzlichen Besuch in Schlesien eine beachtliche Anzahl von Deutschen vorzufinden. Die meißten von Ihnen sind in und um Oppeln in Oberschlesien zu finden. Sie haben dort inzwischen eine Bibliothek, ein Museum, einen Kulturverein, eine Wochenzeitung und einen Radiosender. In der deutschsprachigen Messe waren nur ca. 20 Personen, da Schnee lag. Sonst sind es wohl mehr. Besagter Herr erzählte mir, er sei 1938 in Oppeln geboren worden.

Geschichtsbewußtes Restaurant in Breslau

Ich war dort auf einer Tagung des Forums der Europäischen Minderheitenregionen. In diesem Zuge war es mir eine Freude zu erfahren, daß die deutsche Minderheit in Schlesien nicht nur aus Geburtsjahrgängen der Vorkriegszeit besteht. Dann hätte sie ja keine große Zukunft mehr. Sie haben aber auch eine sehr aktive Jugendorganisation und es existieren deutsche Kindergärten. Deutsche Gottesdienste gibt es in mehreren Orten, katholisch und evangelisch. Dabei hatte die katholische Kirche in der Vergangenheit auch bestritten, daß es noch Deutsche in Polen gäbe.

In Deutschland wurde früher manchmal sarkastisch über jene Aussiedler gesprochen, die nach Deutschland kamen, mit einem polnischen Akzent sprachen und einen polnischen Namen hatten. Man hörte dann oft den Spruch: “Die hatten wohl einen deutschen Schäferhund”. Man muß dabei bedenken, daß der Gebrauch der deutschen Sprache in ehemals deutschen Ostgebieten lange Zeit verboten war. Im übrigen Polen war Deutsch zweite Fremdsprache (nach Russisch und noch vor Englisch). Umso mehr fand ich es bemerkenswert, daß es noch (oder wieder) Menschen gibt, die sich zu ihrer deutschen Identität bekennen. In der letzten Volkszählung waeren es ca. 150.000. Die Vertretung der deutschen Minderheit geht davon aus, daß es 200.000-300.000 Menschen sind und viele sich immer noch nicht trauen, sich dazu zu bekennen. In Breslau sollen es ca. 300 Menschen sein und auch in anderen Städten gibt es deutsche Kulturvereine.

Habelschwerdt/ Bystrzyca Kłodzka “Alle Schwerter rosten – nur die Habelschwerter nicht!”

Väterlicherseits kommt auch meine Familie aus Schlesien. Ich bin in die Heimatstadt meiner Großmutter, Habelschwerdt/ Bystrzyca Kłodzka, gefahren und durch die Straße gelaufen, in der sie gewohnt hat, die Rosengasse (heute ul. Krótka). Habelschwerdt liegt sehr malerisch am Hang und hat ein sehr stattliches Rathaus, wie in vielen schlesischen Städten üblich in der Mitte eines Ringes, des viereckigen Marktplatzes. Renovierungen haben begonnen, viele Häuser sind aber noch immer renovierungsbedürftig.

Elisabeth Wolff, geb. Hiller

In Habelschwerdt gibt es wohl nur noch sehr wenige Deutsche. Wie ist also die größere Anzahl in Oberschlesien zu erklären? Man erzählt mir, daß in Oberschlesien auch vor dem Krieg schon eine Mischbevölkerung aus Deutschen und Polen bestand. Daher sprachen die meißten der dortigen Deutschen auch Polnisch oder zumindest “Wasserpolnisch”, eine Art Mischung der beiden Sprachen, die auch heute noch existiert, allerdings mittlerweile einen größeren slawischen Anteil hat. Die kommunistische Regierung in Warschau war der Ansicht, daß man die Oberschlesier leicht zu Polen machen könne, wenn man ihnen den Gebrauch der deutschen Sprache verbietet. Sie wurden nämlich als Arbeitskräfte gebraucht. Oberschlesien war eines der führenden Industriegebiete Europas. Die Siedler aus den polnischen Ostgebieten, die nach der Verschiebung Polens nach Westen in den ehemaligen deutschen Ostgebieten angesiedelt wurden, waren überwiegend Bauern und daher für die Industriearbeit ungeeignet.

Gedenkstein in Habelschwerdt/ Bystrzyca Kłodzka (mundartlich Holweschwäärde)

Einer der Konferenzteilnehmer erzählte mir sogar, daß seine Vorfahren zwar 1945 geflüchtet waren, aber 1946 zurückkamen. Sie waren untergebracht in einer Flüchtlingsbaracke in Bayern mit einer zweiten Familie in einem Zimmer. Sie hungerten. Per Post erfuhren sie, daß ihr ehemaliges Haus weiterhin unbewohnt war, und daß es dort genug zu essen gab. So kehrten sie schliesslich zurück. Aus anderer Quelle weiß ich, daß man auf Flüchtlinge aus den Ostgebieten oft herabgeschaut hat. Es ist mir schwer begreiflich, daß nicht einmal die eigenen Landsleute mit Liebe und Barmherzigkeit aufgenommen wurden. Dann ist wohl für Flüchtlinge von anderen Völkern auch nicht viel Hoffnung einen warmen Empfang zu bekommen.

Meine Großmutter, Elisabeth Wolff, geb. Hiller, ist zeitlebens nicht mehr nach Habelschwerdt zurückgekehrt. Nach 1990 habe ich ihr angeboten, mit ihr dorthin zu fahren. Aber sie wollte nicht. Sie war immer noch traumatisiert. Bisweilen sprach sie von der Flucht, aber als Jugendlicher habe ich leider nicht richtig zugehört. Sie erzählte nur immer wieder die gleichen Geschichten. Es waren zwei oder drei Episoden, die ihr einen grossen Schrecken eingejagt haben mußten. Sie konnte auch zeitlebens kein Essen wegwerfen, egal wie satt sie war. Wahrscheinlich hatte sie Post-Traumatic Stress Disorder und wurde nie dafür behandelt. Die Mißhandlungen, denen sie ausgesetzt war, erfolgten vor allem durch Polen. Die Deutschen hatten es ihnen ja vorgemacht. Meiner bescheidenen Meinung nach ist das aber keine Rechtfertigung. Sonst würde der Kreis der Gewalt ja nie enden. 15 Millionen Deutsche wurden aus ihrer Heimat vertrieben, was wohl die größte Völkervertreibung der Weltgeschichte war, und bei der 2,8 Millionen Menschen ihr Leben verloren.

Restauriertes Monument mit deutscher Inschrift in Glatz/ Kłodzko

Elisabeth Hiller wurde am 12.1.1913 in Habelschwerdt geboren. Sie hatte 12 Geschwister, von denen eines früh verstarb. Sie besuchte dort die Volksschule und ging danach nach Berlin, um dort zu arbeiten. Als die Bomben auf Berlin fielen, kehrte sie zurück nach Habelschwerdt, bis sie von dort vertrieben wurde. Ich erinnere noch, daß sie erst lange laufen mußte. Ich weiß nicht mehr, ob sie in Glatz oder erst in Breslau in einen Zug steigen konnte. Der Zug fuhr in die britische Besatzungszone, aber als er unterwegs hielt, sah sie ein Schild mit der Aufschrift “Potsdam”. Kurzerhand stieg sie aus und lief mit ihren drei Kindern nach Berlin-Zehlendorf zu ihrem früheren Arbeitgeber. Die ausgehende polnische Regierung der PiS Partei hatte ja anti-Deutsche Sentiments wieder salongfähig gemacht und auch den Deutschunterricht für die Deutschen an staatlichen Schulen von drei Stunden pro Woche auf eine Stunde reduziert. Auf der Konferenz berichtete ein Vertreter der neuen Mehrheit im polnischen Parlament, dem Sejm, daß mit der Diskriminierung der Deutschen nun Schluß sei. Das läßt hoffen. Es bringt überhaupt nichts, über die Vergangenheit zu lamentieren. Man muß sich ihrer bewußt sein und dabei in die Zukunft schauen. Ich habe gute polnische Freunde und wünsche mir nichts mehr, als daß die deutsch-polnische Freundschaft einmal ebenso sprichwörtlich wird wie die deutsch-französische.

Lied der Schlesier in Habelschwerdt gesungen

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